Kennen Sie den Ausspruch «Ich habe nichts zu verbergen»? Häufig fällt er in Situationen, in denen jemand staatliche Überwachung zur Bekämpfung von Kriminalität befürwortet. Gemäss dieser Logik gilt aber auch: Wer nicht kriminell ist, hat nichts zu verbergen und braucht deshalb keinen verschlüsselten Kommunikationskanal. Diese Schlussfolgerung ist nicht nur falsch, sondern auch ziemlich gefährlich.
Das weitverbreitete Nichts-zu-verbergen-Argument besagt, dass staatliche Überwachung nur der Bekämpfung von Kriminalität dient und unbescholtene Bürger deshalb nichts zu befürchten haben. Massenüberwachung ist jedoch kein taugliches Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung, und auch rechtskonforme Bürger tun gut daran, Dienste zu verwenden, die ihre Daten schützen.
Es gibt nämlich eine ganze Reihe legitimer Gründe, warum sich jemand für die Nutzung einer verschlüsselten Kommunikationslösung entscheiden könnte. So müssen etwa Journalisten manchmal mit Quellen in Kontakt treten, ohne deren Identität gegenüber Dritten preiszugeben, und es gibt zahlreiche weitere Berufsgruppen, die auf vertrauliche Kommunikation angewiesen sind, darunter etwa Anwälte und Ärzte.
Doch auch wer keiner dieser Berufsgruppen angehört, sollte sich insbesondere im Internet, wo Nutzerdaten in grossem Umfang gesammelt und verwertet werden, für Dienste zu entscheiden, bei denen keine Gefahr des Datenmissbrauchs besteht. Dabei geht es nicht nur um Cybersicherheit, also um den Schutz vor Identitätsdiebstahl oder Phishing. Es bedeutet auch, zu verhindern, dass Metadaten analysiert und für Werbung genutzt werden, um Entscheidungen und Kaufverhalten zu beeinflussen.
Natürlich können verschlüsselte Online-Tools von jedem genutzt werden – auch von Kriminellen. Dies ist jedoch in vielen, wenn nicht sogar den meisten Fällen so, in denen ein Produkt oder eine Dienstleistung für die Allgemeinheit von grossem Nutzen ist. Ein Beispiel: So praktisch Taschenmesser sind, können sie auch als Waffen verwendet werden, doch niemand würde von den Herstellern verlangen, sämtliche Klingen zu stumpfen, um dies zu verhindern.
Würde man in verschlüsselten Kommunikationslösungen einen Mechanismus zur Bekämpfung krimineller Aktivitäten einbauen, würde dies zwangsläufig eine Senkung des Datensicherheits- und Datenschutzstandards für alle Nutzer erfordern. Während Kriminelle grosse Anstrengungen unternehmen können und werden, um ihre Aktivitäten mit anderen, undurchsichtigen und zeitaufwändigen Methoden zu verstecken, wäre dies für normale Nutzer nicht praktikabel. Selbst wenn es einen solchen Mechanismus gäbe, würde er daher nur den allgemeinen Datenschutzstandard senken, ohne einen echten Nutzen zu bieten.
Die Privatsphäre – ein grundlegendes Menschenrecht – und der Datenschutz aller sollten deshalb stärker gewichtet werden als die Möglichkeit, dass jemand die App für illegale Aktivitäten nutzen könnte. Oder anders gesagt: Die Bekämpfung von Kriminalität darf nicht zu Lasten der Privatsphäre aller gehen. Und Verschlüsselung darf nicht als Tool für kriminelle Handlungen angesehen werden, sondern als Mittel zur Umsetzung eines Menschenrechts.